Im August 2009 – noch vor dem grossen Erdbeben – gründete Bruno Stettler die Black Rain Group Foundation Zurich mit Richard Marbacher. Die Stiftung ist gemeinnützig, politisch unabhängig und überkonfessionell und setzt sich für humanitäre Projekte in Haiti ein. Unter anderem betreibt sie das Black-Rain-Group-Waisenhaus in Cap Haitien – ein langfristiges Projekt, in dem Kinder aus Port au Prince bis zu ihrer Volljährigkeit vollumfänglich betreut werden. Die Arbeit der Foundation und die Verwendung der Mittel steht unter der Kontrolle der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht Bern. Alle aktuellen Informationen, Videos und Bilder erhalten Sie unter der Webpage www.blackraingroup.org
Meet the Artist: Bruno Stettler
Im Gespräch mit Olivia Bosshart, Kion, über seine Arbeit als Unternehmer, Fotograf und Künstler, über seine humanitären Projekte in Haiti und die von ihm gegründete Black Rain Group Foundation.
Montag, 11. Oktober, 18:30-19:00 und 19:30-20:00
Eintritt: CHF 10.- (der Erlös geht an die Black Rain Group)
Bruno Stettler
Wenn Elend und Hoffnung aufeinander treffen
Man kann Bruno Stettler nicht einfach so beschreiben, wie man Haiti nicht einfach beschreiben kann, diese Feuchtigkeit, diese Müllhaufen aus Tierkadaver und Bauschutt, diese Kinder, die nackt in Schlammlöchern baden, die die UNO-Panzer hinterlassen, wenn sie durch die Strassen rollen.
Man muss Bruno Stettler erleben, um zu spüren, wie viel ihm an diesem kaputten Land liegt, an den Menschen, vor allem an den Jüngsten und Ältesten, die ausser zwei Zähnen nichts mehr haben. Bruno ist rastlos. Klar ist er durchgeknallt, weil er nicht nur redet, sondern handelt. Als er im März 2009 zum ersten Mal mit dem Elend im Karibikstaat konfrontiert wird, reift in ihm der Entschluss, sich genau für dieses ärmste Land zu engagieren. Im August 2009 gründet er die Black Rain Group Foundation in Zürich.
Das ist Bruno Stettler: laut, gross, emotional. In der Schweiz hat er als Erotik-Unternehmer viel Geld verdient – in Haiti das Leben vieler Waisen und Altersschwachen gerettet. „Ich bin vielleicht der Einzige, der Waisenhäuser und Altersheime mit einem Erotik-Business finanziert“, sagte er mir auf unserer Haiti-Reise im Frühling dieses Jahres. „Ist das kein Problem?“, fragte ich – und er antwortete: „Wieso, sollte es?“
Nein. Natürlich sollte es nicht.
Denn es geht um Markenson Augustin, um Joseph Stevensson und all die anderen Waisenkinder, die ihre Eltern im Januar 2010 unter den Trümmern wieder fanden. Es geht um die Alten, die ohne Brunos Hilfe längst gestorben wären, unbemerkt, wie die Echsen am Strassenrand.
Brunos Panoramafotos zeigen das Strassenleben in Port au Prince, wie es so nicht mehr existiert, weil es keine Strassen mehr gibt, weil die Häuser am Boden liegen; aber sie zeigen auch Hoffnung und den unstillbaren Drang nach Leben, der dieses amputierte Land wieder aufbauen wird.
Monate, nachdem mein Artikel über Bruno Stettler erschien, erhielt ich einen Brief einer alten Frau in Schnürlischrift. „Ich bin Witwe und Seniorin“, schrieb sie mir, „ich habe ein wenig Geld auf der Seite.“ Sie überlege, ob sie es diesem Bruno spenden soll, „ein komischer Vogel, nicht wahr?“ Doch genau dies habe ihr gefallen, denn ihr Mann sei auch so einer gewesen und wenn es etwas gebe, das sie gelernt habe nach 83 Jahren, dann dies: „Komische Vögel machen diese Welt besser.“
Sacha Batthyany, Redakteur DAS MAGAZIN
Der Artikel über Bruno Stettler ist im Magazin Nr. 18, 2010 erschienen.
Bruno Stettlers fotografische Reise in ein nicht mehr vorhandenes Haiti
Das vielschichtige Strassenleben von Port-au-Prince und Cap- Haitien vor dem Jahrhundertbeben
Seine letzte Fotosafari im Frühling 2009 führte den Zürcher Fotografen Bruno Stettler nach Haiti, dem bis vor kurzem wenig bekannten Inselstaat mit grossen gesellschaftlichen Konflikten. Nun hätte sich Stettler, genauso wie wir alle, nicht in den kühnsten Träumen vorgestellt, dass dieses extrem widersprüchliche Land wenige Monate später in Trümmern liegen wird. So haben seine Haiti-Bilder krasse Aktualität erlangt, freilich jenseits von aller gegenwärtigen Katastrophen-Fotografie.
Stettlers Intention für seine Haiti-Reise war so auch von gemischter Natur: Einerseits wollte er fotografisch Eindrücke der sensationellen Landschaft festhalten und andererseits gesellschaftliche Realitäten mit seiner Kamera erfassen. Darüber hinaus intervenierte er, zusammen mit seiner Crew, immer wieder ins Alltagsgeschehen mittels aktionistischer Inputs, was nochmals zu ganz anderen, sehr individuellen Bildserien führte. Oft vermischten sich dabei diese drei unterschiedlichen Ansätze zu vielschichtigen Sujets mit mehreren Aussagen.
Seine aktionistischen Inputs gaben den Alltagszenarien meist noch einen besonders spontanen, leicht chaotischen Dreh und lockten die damit konfrontierten Menschen sehr schnell und derart aus ihrer Reserve, wie dies in unseren Breitengraden eher selten der Fall ist. Für das Bild des uniformierten Schulmädchens mit dem Ausdruck von Angstlust im Gesicht, oder für die Aufnahmen von Gefangenen eines haitianischen Gefängnisses, fehlen dem hiesigen Betrachter schlicht die Referenzbilder. Da tut sich eine neue, uns bis anhin weitgehend verborgene Welt auf, in Sachen Ästhetik, Aussage und gesellschaftlicher Realität.
Im Gesichts- und Körperausdruck der fotografierten Menschen zeigt sich meist Unmittelbarkeit und absolute Lockerheit, trotz teils widrigsten Lebensumstände. Genauso aber auch ganz einfache Bilder wie zum Beispiel diejenigen von Menschen vor einer alten, renovationsbedürftigen Mauer, welche gerade deswegen in reich abgestufter Farbigkeit erscheint und sich so auf wunderbare Weise mit der anziehenden Buntheit der vorbeigehenden Menschen verbindet. Alles zusammen macht Stettlers Bilder zu einer harmonischen Einheit auf hohem Niveau schrill-bunter Expressivität.
Die Fähigkeit, Menschen aus der Reserve zu locken, sie vor der Kamera zu spontanem Agieren zu bringen, unverblümt und roh, ist eine der wesentlichen Eigenschaften von Bruno Stettler. Durch diese Gabe ist er auch im Stande, Genres zu vermischen. Was heisst, dass sich in seiner Fotografie dokumentarische Momente, das Portraitieren und die Kunstfotografie die Balance halten und sich oft auf sehr individuelle Weise vermischen. Dieses Können basiert bei Bruno Stettler vor allem auf seinem unvoreingenommenen Zugang zu Menschen. Ohne gesellschaftliche Wertung begibt er sich in verschiedenste gesellschaftliche Milieus und Systeme. Stettler sieht den Menschen, der sich durch den Dschungel seiner Verhältnisse schlägt im Vordergrund. Die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse die Stettler dabei vor Ort findet, werden als Themengebendes Moment sofort in seine Konzeptfotografie miteinbezogen. In Kombination mit seiner für ihn sehr typischen Interventions- und Aktionslust ergibt sich so letztlich ein ganz eigener Genre- und Themenübergreifender „Stettler-Stil“.
Haiti war eine Entdeckung für Stettler, eine bis dato kaum fotografisch erfasste Welt. Mit seiner grenzüberschreitenden Art gelang es ihm einerseits, dokumentarisch Interessantes festzuhalten, andererseits mittels seiner gezielten Inputs aber auch sehr intime und quasi unkontrollierte Bilder des Haitianischen Alltags zu schaffen. Vor dem Hintergrund des gewaltigen Erdbebens in Haiti anfangs dieses Jahres wirken diese Bilder aber vor allem auch wie Dokumente einer untergegangenen Welt, da sich ernsthaft die Frage stellt, ob dieses Land je wieder in alter Form auferstehen wird, oder ob nun im komplett zerstörten Jurassic Park nicht ein ganz neues Land entstehen wird.
Sascha Serfözö, Kunstkritiker